Torlinientechnik abschaffen – jetzt!

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Versuch den Umfang des Balles glattzubügeln 

Jetzt ist es passiert. Die Torlinientechnik hat sich blamiert, aber zwei Fehler des Systems liegen tiefer.

Bevor wir dies näher beleuchten muss den Schönwetterfans aber noch erklärt werden, wie die Regellage ist – da ist nämlich eine falsche Faustregel im Umlauf die blendend als Beispiel für funktionalen Analphabetismus taugt.

Und zwar lautet die Faustregel, dass der Ball mit vollem Umfang die Torlinie überschreiten muss. Wer noch etwas Schulmathematik im Kopf hat weiß, dass der Umfang des Kreises und somit der Kugel 2πr ist. Jetzt muss man nur noch den Radius des Balles kennen, schon kann man das Messen beginnen – fragt sich nur von wo nach wo gemessen werden soll, womit die Idiotie dieser Faustregel die gerade das ja erklären soll schon gezeigt ist, wenn auch nur zum Teil. Der andere Teil der Idiotie liegt darin, dass der Umfang überhaupt nicht relevant ist.
fussball-umfangOben sieht man den Ball mit dem (abgerundeten, haha) Umfang von 6 statt 6,283… . Wir nehmen den Ball unten und stellen fest, dass der Durchmesser 2r ist (r:=Radius). Die exacte Breite in Inch, Zentimeter, Fuß, Zoll, Yard, Meilen oder Pint ist nicht von Belang, unsere Einheit ist einfach halbe Fußbälle, oder Fußballradien, dann fällt das r aus der Rechnung raus, und der Umfang von 2πr ist einfach 2π. 3 ist Pi abgerundet; das genügt für unsere Zwecke wo wir großzügig abrunden. 2*3 ergibt 6, was die Länge des Maßstabes oben ist, was noch deutlich länger ist als der missglückt gebügelte Umriss unten rechts. Wenn Sie in Zukunft vom Umfang hören, mit dem der Ball über die Linie soll werden Sie dieses Bild vor Augen haben. Wer dagegen sagt, der Ball müsse mit vollem Umriss die Linie überqueren, der ist noch unnötig kompliziert im Ausdruck, aber der Wahrheit näher.

Der Ball muss schlicht komplett die Linie (und zwar die komplette Linie) überschritten haben. Das ist von oben ganz leicht zu sehen
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aber von der Seite schauend, und Reporter schauen meist von der Seite, verlässt die Reporter der Mut, und sie sehen Dinge, die man nicht sehen kann und reden ein Zeuch daher, dass es der Sau graust.

Zur Sicherheit wiederhole ich es nochmal, weil unzählige Leute haben es schon begriffen, Millionen, Milliarden, nur um 30 Minuten später wieder Bälle im Aus zu sehen, die nie im Aus waren, denn oh Wunder – für Aus, Eckball und Torab gelten die gleichen Regeln – der Ball muss komplett die Linie überschritten haben, und ja, nicht den Mittelpunkt oder 2/3 der Linie, sondern die ganze Linie.

Der kritische Punkt ist also erreicht wenn die Linie eine perfekte Tangente – ach nein, denn diese ist ja eine mathematische Linie ohne eigene Ausdehnung. Außerdem muss man, da der Ball nicht immer brav auf der Erde liegt, die Torlinie nach oben in den Weltraum verlängert als virtuelle Wand sich vorstellen.

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Idealisiert liegt eine Kugel nur in einem Punkt auf einer Fläche auf, aber der Ball ist weich – nicht sehr, aber wenn er aufprallt wird er gedellt und liegt mit einer Teilfläche der Oberfläche auf, bzw. versinkt gar ein Stück im Gras, und neben dem Ball entsteht eine freie Flanke, und wenn die sichtbar ist neigt man dazu gegen besseres Wissen „drüber“ zu denken. Wenn man jetzt noch nicht genau in der Flucht der Linie steht, oder der Ball liegt gar nicht auf, sondern fliegt oben in der Luft, und von allen Seiten drängen Körperteile auf ihn ein und überdecken ihn teils, dann wird das Entscheiden schwierig, zumal die Bälle mit bis zu 100 km/h durch die Luft rasen. 

Kommen wir nun zu den 2-3 Hauptfehlern des Systems Torlinientechnik, abgesehen davon, dass es mir nicht zu funktionieren schien – ich habe den Ball nicht komplett über der Linie gesehen, und eine Perspektive zeigte den Blick von hinter einem Pfosten mit dem zweiten Pfosten in der gleichen Flucht, und dazwischen war der Ball zu sehen, aber nicht komplett, wie es hätte sein müssen, hätte er die Linie komplett passiert.

Fehler 1 ist, dass man mit viel finanziellem Aufwand die Stadien ausrüsten muss, und so zwei Sorten Fußball schafft – teuren Spitzenfussball und billigeren niederklassigen. Das gibt es, so könnte man einwenden, jetzt schon, denn einen 4. Offiziellen und Torlienienrichter gibt es auch nicht auf jedem Rübenacker. Teils kicken Jugens mit leeren Coladosen zwischen hingeworfenen Anoraks, zwischen denen sich eine gedachte Linie spannt so breit wie der Mauerstreifen zwischen Wedding und Prenzlauer Berg.

Das ist wahr. Wahr ist aber auch, dass man einen 4. Offiziellen bei Bedarf ruckzuck einreisen lassen kann, aber solche Anforderungen wie Torlinientechnik, Rasenheizung, Flutlicht usw. werden für Ligen und Turniere früher oder später festgeschrieben. Das zwingt also zu mehr Kommerzialisierung. Kleine Aufsteiger haben ein größeres finanzielles Risiko dann einzugehen.

Es gab aber Ende der Bundesligasaison auch einen Fall, da sah der Schiri den Ball nicht im Tor, die Torlinientechnik hätte es wahrscheinlich aufgedeckt. Nur ging dem Treffer auch ein übersehenes Abseits vorraus, so dass das gerecht beurteilte, atomare Ereignis zu einer im größeren Kontext, Spielzug, ungerechten Korrektur geführt hätte. Und solche Fälle sind vielfach denkbar, auch Handspiele, Fouls und so weiter sind in absehbarer Zeit nicht automatisiert erkennbar, und Videobeweise werden auch nicht immer und restlos Klarheit bringen.

Es wäre also sinnvoll einzugestehen, dass es keine restlose Gerechtigkeit gibt und geben wird, und dass man sich demütig damit abfindet. Wichtig ist ja, dass nicht eine Seite systematisch benachteiligt wird – das wäre nicht hinnehmbar. Und eine Rolle sollte spielen, wie oft Fehlentscheidungen in solchen Fällen zu bedauern sind, die vermeidbar wären, und Fragen der Torlinie sind viel seltener als strittiges Abseits, strittiger Hand- und Foulelfmeter. Würde man wenigstens viele Fehlentscheide mit einer teuren Technik abwenden, aber so ist es ja nicht.

Hier im Spiel schien es aber auch, dass der Schiri das automatische Signal gar nicht abgewartet hat (wie bekommt er es eigentlich übermittelt – so schnell, dass es quasi live ist, akustisch?) und autonom schon auf Tor entschied. Gut – dass man es dem Zuschauer so spät einspielte muss wenig heißen, und den Schiri interessiert auch nicht unbedingt, wie die Situation in der Animation ausschaut. Außer der Ball ist hart an der Grenze, dann passiert ein Foul, und dann ist er wieder hart an der Grenze, und das erste Mal würde er Tor geben, aber beim zweiten Mal Foul pfeifen, und er verkennt, für welchen Sekundenbruchteil das Signal nun galt.

Hier hatten wir in der Zeitlupe – vielleicht überzeugt mich ja noch eine Superzeitlupe, die ich aber nicht erwarte – bei der man beide Pfosten in einer Linie hat, und dazwischen den Ball, und man sieht ihn nicht komplett, sondern ein Scheibchen ist noch nicht über die Linie.

Dann zeigt man uns die berechnete Animation, aber nicht erkennbar ist die Höhe des Balls, und so ist perspektivisch schon nicht entscheidbar, ob er über die Linie ist.
fussball-perspektiveSelbst wenn der Ball keinen Hauch der Linie verdeckt ist oft nicht entscheidbar, ob er vor oder hinter der Linie ist. Wenn man nicht aufpasst sieht man das, was man sehen will, weil man auch nicht viel Zeit hat eine andere Sichtweise auszuprobieren. Ohne Selbstkontrolle bleibt die Wahrnehmung bei dem, was sie zuerst zu sehen glaubt. In echten Fernsehbildern gibt es natürlich immer Schatten, aber meist wenig. Die Größe des Balles differiert, je nach dem ob Bild 2 oder Bild 3 die Realität ist, aber zu marginal, um daraus die wahre Lage abzuschätzen. Vielleicht sind noch Gliedmaßen von Spielern in der Nähe, so dass man mit allgemeinem Anatomiewissen Rückschlüsse ziehen kann. Als besondere Wahrnehmungsaufgabe: Ich unterstelle, dass das Licht in dem Bild immer senkrecht von oben kommt, aber von wo müsste das Licht kommen, um diese Bilder zu zeigen, aber nochmal eine andere Interpretation zu erlauben? 

Vor allem aber ist es eine Animation, die der Rechner gemacht hat. Der Herr Reporter verkauft uns das, als sei er ein Agent der Aachener Firma, als „unbestechlich“, was auch von meiner Seite gerne geglaubt wird, aber die Frage ist nicht ob das Programm unbestechlich ist, sondern ob es unfehlbar ist.

Und jetzt überlegen wir mal bitte alle zusammen, wie man so ein Programm testet? Welche Anzahl Schüsse aus welchen Winkeln mit wieviel Effet wohl probiert wurden bis man sagte „passt schon!“. Solange bis es die FIFA abgesegnet hat, sage ich.

Und während die Fernsehbilder m.E. klar zeigen, dass der Ball nicht drin war, zeigt die Animation er war drin, und der Reporter glaubt was er glauben will – unfehlbare deutsche Technik.

Was die beiden Ollifanten, Olliwelke und Ollikahn samt des Schiedsrichterdarstellers zur Frage fachsimpelten habe ich leider verpasst, da mich mit dem Abpfiff ein Anruf ereilte.

Was bei der Torlinientechnik nicht bedacht wurde, aber bei der Hymnenpanne vielleicht deutlich wird, ist, dass es auch bei der Soft- und Hardware zu ganz ordinären Defekten kommen kann (Sicherung fliegt raus, Virus, Speicherüberlauf, Speicher voll, Kurzschluss, Wackelkontakt, …) und wenn dies die Heimmannschaft, die es ja häufig gibt, trifft – was wird man da wohl munkeln? Gut – vielleicht reagiert das System so schnell, dass nicht gut denkbar ist, dass es jmd. manipuliert, weil man ja erst im Moment, wo der Ball vom System als über der Linie erkannt wird, weiß, dass das System so erkannt hat – zum Ziehen eines Steckers ist es dann zu spät. Aber wir außenstehenden wissen auch nicht wie das System funktioniert. Was, wenn die Software eine Hintertür hat, bei der man in der Halbzeit ein Signal hinsendet, und in ganz subtilen Zweifelsfällen reagiert es eben zugunsten oder zuungunsten. Der Spieler, der Schiri und alle müssen die Urteile dieser Blackbox als unbezweifelbare hinnehmen – sonst braucht man das Ding ja nicht und kann gleich Fernsehbeweis spielen.

Erschüttert bin ich vor allem über das „hier sieht man’s!“ der Reporter bei den künstlich animierten Bildern – da hätte ein humorbegabter Softwareschmied auch leicht ein fliegendes Einhorn noch einbauen können, das Samba tanzt. Der dt. Sportreporter hätte es geglaubt und umgehend als Beweis ans Publikum weitergereicht.

P.S.: Bei Heise gab es auch einen Artikel, der manches zur Technik verrät, und viele Bilder in der Diskussion zu Tage förderte, was ich hier in einem 2. Beitrag würdige. Zumindest dieser Einzelfall scheint wohl doch auf Tor hinzudeuten, alles in allem.

5 Gedanken zu „Torlinientechnik abschaffen – jetzt!

  1. Thomas F.

    Man kann es auch so betrachten: Die Torlinientechnik ist der neue Maßstab, ob Tor oder kein Tor. Der Maßstab beruht auf Technik und ist unabhängig von menschlicher Einschätzung. Die Toleranz / Genauigkeit beträgt wohl 1,5cm – von daher kann es auch „kein Tor“ gewesen sein – aber der Maßstab ist halt die Berechnung / Entscheidung der neuen Technik. Ob es gefällt oder nicht, es ist n.m.E. auf jeden fall neutraler und sicherer als eine Entscheidung vom Menschen. Oder wer würde wetten, bei 100 knappen Tor-Entscheidungen besser als die Torlinientechnik entscheiden zu können?

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  2. user unknown Autor

    Es vergehen ganze Bundesligaspielzeiten ohne strittige Torlinienentscheidung. Dagegen die häufigen Abseitsfragen – welchen Sinn macht es die eine Unwägbarkeit mit einem Riesenaufwand einzudämmen, wenn die anderen auf absehbare Zeit nicht lösbar werden? Wie würde man erkennen können, dass das System fehlkalibriert ist, die Optik verzogen, die Software einen Bug hat?
    Was kostet die Installation/Anschaffung der Technik pro Stadion, und was im Unterhalt pro Jahr?

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  3. Thomas F.

    Selbst wenn die Torlinientechnik nicht weitere (Fehl)Entscheidungen des Spiels abdeckt, ist doch zumindest dieses wichtige Thema damit zu entscheiden. „Tor“ oder „kein Tor“.
    Die Qualität der Technik sollte immer gleich sein (mit geringer Tolerenz), bei der Qualität des Schiedsrichters / menschlicher Einschätzung kann man dies kaum erwarten.

    Eine richtige Tor-Entscheidung kann auch nicht durch eine vorangegangene Fehlentscheidung (Abseits, Faul, etc.) durch eine „ohne Torlinentechnik“ möglicherweise doppelte Fehlentscheidung ausgeglichen werden.

    Die Frage kann natürlich sein: Komplett keine Technik, sodass sich Fehlentscheidungen über Zufall auf allen Seiten verteilen (ausgleichen) und jeder damit leben muss.
    Oder: Überall technische Hilfsmittel einsetzen, die eine Entscheidung mit gleicher Qualität ermöglichen. Ich wäre für weitere Technik, ein Gesamtsystem muss immer wissen wo der Ball ist und „Außerhalb Spielfeld (Ecke/Einwurf)“ und „Tor“ erfassen und dem Schiedsrichter als Entscheidungshilfe anzeigen. Das System muss im Hintergrund arbeiten und besser entscheiden als Menschen. Der Spielfluss bleibt erhalten, weil der Schiedsrichtiger auf seiner Uhr einfach nur die relevanten Ergebnisse sieht und somit besser informiert ist, als der Zuschauer Zuhause. M.E: Es kann doch nicht sein, dass wir Zuhause vorm TV mehr Informationen zum Spiel haben (Zeitlupe, Wiederholung, verschiedene Kamereeinstellungen) als der „alles entscheidende“ Schiedsrichter.

    M.E: Bei strittigen Situationen (Schwalbe, Tätigkeit, Faul, ..) sollte ein Videobeweis zugelassen werden. Jeder Trainer darf pro Spiel z.B. 2 mal den Videobeweis fordern, soweit korrekt gefordert (also die urspüngliche Entscheidung des Schiedsrichters geändert wird, weil neue Informationen vorhanden sind) bleiben die Vetos erhalten.

    Die Welt dreht sich, ob einem das gefällt oder nicht. Die meisten streben nach Gerechtigkeit und so hat jedes Team ein Werkzeuge in der Hand eine Fehlentscheidung mittels Videobeweis live anzufechten.

    Meine Vision für die nächsten 10 Jahre:

    Folgende Situationen werden nach und nach durch Technik unterstützt entschieden:

    1. Tor / kein Tor

    2. Sitiationen aus denen unmittelbar ein Tor / kein Tor entstehen
    2a) Elfmeter (Kamerabeweis, Veto)
    2b) Abseits (Linientechnik, Chip)
    2c) Freistoß (Kamerabeweis, Veto)
    2d) Eckstoß (Linientechnik, Chip)
    2e) Einwurf (Linientechnik, Chip)

    3. Sitationen die sich spielentscheidend auswirken können
    3a) rote Karten (Kamerabeweis, Veto)
    3b) gelbe Karten (Kamerabeweis, Veto)

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  4. Reinhard

    „mit vollem Umfang“, ja der Fehler wird gern gemacht. In der FIFA-Regel steht einmal „*in* vollem Umfang“ (http://de.fifa.com/aboutfifa/footballdevelopment/technicalsupport/refereeing/laws-of-the-game/law/newsid=1299699.html) und an anderer Stelle „vollständig“ (http://de.fifa.com/mm/document/afdeveloping/refereeing/law_10_method_of_scoring_de_47390.pdf), wobei die zweite Version wohl eindeutiger ist.
    Zur Torlinientechnik: Im Eishockey, beim Tennis, in der Leichtathletik oder beim Fechten wird schon seit langem Technik eingesetzt, (http://www.fr-online.de/sport/hintergrund–videobeweis-in-anderen-sportarten,1472784,24041940.html) warum dann nicht auch beim Fußball? Zumal es nur eine Entscheidungshilfe ist, die der Schiedsrichter ignorieren kann.

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  5. user unknown Autor

    Es kann doch nicht sein, dass wir Zuhause vorm TV mehr Informationen zum Spiel haben (Zeitlupe, Wiederholung, verschiedene Kamereeinstellungen) als der “alles entscheidende” Schiedsrichter.

    Das konnte 150 Jahre sein und war auch 150 Jahre. Es gab in der Zeit Eusebio, Pele, Beckenbauer und Maradonna.

    Für die unterklassigen Spiele ist die Technik sowieso zu teuer – was ist mit dem bulgarischen Meister der in die Championsleague will – muss der sein Stadion auch aufrüsten, dann?

    Ob der Zuschauer wirklich mehr weiß ist oft die Frage – er hat mehr Daten aber weniger Ahnung. Die Wahrheit auf 2 Entscheidungen pro Team einzuschränken wirkt auch willkürlich und verlagert die Diskussion. Dann kann man auch sagen 1x oder 0x. :)

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