– Frauengeschichtsforschung – 

isabel-rahner

Am Freitagabend, den 2.11.2018 in Kulturzeit, jetzt in der Mediathek (ab ca. Minute 12:50) und Montag früh auf 3sat um 6:20 Uhr und um 9:05 Uhr wiederholt war und ist ein Beitrag, zum Anlass 100 Jahre Frauenwahlrecht zu sehen. Darin sagt Frau Rohner, dass erst ab 1918 von einer Demokratie gesprochen werden kann, worauf ich annahm, dass sie das damit begründet, dass auch erst 1918 alle Männer Preußens das gleiche Wahlrecht bekamen (bis dahin 3-Klassenwahlrecht – das gilt aber nur für die preußischen Landtagswahlen, für den Reichstag hatten auch die Männer in Preußen vorher schon gleiches Wahlrecht – allerdings auch nicht sehr lange) oder mit den bis dahin stark eingeschränkten Befugnissen des Parlaments.

Sie begründete es aber damit, dass in einer Demokratie die Bürger freies und gleiches Wahlrecht haben müssen und damit hat sie natürlich recht: Auch Frauen sind Bürger und solange deren Stimme nicht zählt, kann man von einer Demokratie nicht sprechen.

Eingebettet waren die Aussagen Rohners in einen Bericht von Alexander Glodzinski der behauptet: „Frauen verdienen noch immer deutlich weniger als Männer, für die gleiche Arbeit“, dazu läuft in großen Zahlen durch „Deutschland: -21,5%“.

Jetzt wird aber jedes Jahr um den Tag des Equal-Pay-Gaps herum nicht nur von diesem berichtet, sondern von einer zunehmden Zahl informierter Skeptiker kritisiert, dass da immer die großen, unbereinigten Zahlen, etwa hier: Deutschland 21,5%, für die Schlagzeilen herangezogen werden, um im Kleingedruckten vielleicht zu erwähnen, dass der bereinigte GPG nur 2-7% beträgt. Ein solcher Hinweis wurde in Kulturzeit unterlassen. Eine weitere Unterschlagung ist, dass nicht erwähnt wurde, dass

abhängige Beschäftigungs­verhältnisse aller Wirtschafts­abschnitte und Unternehmensgrößen in die Berechnung einbezogen (werden), ausgenommen die Wirtschafts­abschnitte „Land- und Forstwirtschaft, Fischerei“, „Öffentliche Verwaltung, Verteidigung; Sozial­versicherung“, „Private Haushalte mit Hauspersonal“ und „Exterritoriale Organisationen und Körperschaften“ sowie Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten.

Quelle: destatis.de

Öffentliche Verwaltung und Unternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten, das sind ja nun keine geringen Posten. Da das Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes für die öffentliche Verwaltung bindend ist wäre da jeder Lohnunterschied überraschend und mit einer Klage ruck-zuck Geschichte.

Merkwürdig, dass einer Redaktion solche Widersprüche nicht auffallen. Sind die nicht im Thema drin? Interessieren die sich gar nicht für das Thema und vergessen jedes Jahr die Widersprüche vom Vorjahr?

Dann kommt aber Frau Rohner zu Wort, Frauengeschichtsforscherin laut Einblendung, und auch sie hat eine Legende zu verbreiten:

„Bis dahin (in die 70er Jahre, Anm. SW) konnte ein Ehemann seiner Frau die Berufstätigkeit verbieten.“

Obwohl sie zuvor Artikel 3 GG („Männer und Frauen sind gleichberechtigt“) richtig dem Jahr 1949 zugeordnet hat, scheint ihr die Diskrepanz nicht aufzufallen.
Das Grundgesetz kennt aber nicht nur den Artikel 3, es hat auch einen Artikel 1, Absatz 3, der da lautet:

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Art. 1 GG

Was unmittelbar geltendes Recht ist bedarf eigentlich keiner Erklärung, aber zur Sicherheit: Es bedeutet es gilt ab sofort und ohne dass es in weiteren Gesetze erst ausbuchstabiert werden müsste.

Und was hat es dann mit dem Familienrecht des BGB auf sich?

Nun, erstens kann darin vieles stehen – wenn es dem Grundgesetz widerspricht, dann sticht das GG das BGB, das ist das Wirkprinzip des GG und so gewollt. Und Widersprüche zwischen GG und BGB wurden nicht nur für die Zukunft einkalkuliert, sondern waren schon bei der Verfassung des Grundgesetzes bekannt.

Nach der Niederlage des 2. Weltkriegs wollte man nicht das von Nazigesetzen durchsetzte Gesetzeswerk von 1945 mühsam von allen unerwünschten Erweiterungen gegenüber der Weimarer Republik säubern, sondern man übernahm gleich das BGB in Gänze in der Fassung der Weimarer Republik und setzte das Grundgesetz darüber, wohl wissend, dass im BGB Gesetze stehen, die dem GG zuwiderlaufen. Aber für die Anpassung und Ausformulierung wollte man sich Zeit nehmen und nahm sie sich auch. Ein Blick auf den Umfang des BGB macht verständlich, dass das keine geringe Aufgabe für ein paar Wochen Parlamentszeit war. Dass es dann bis 1958 (nicht bis in die 70er Jahre) dauerte, bis man diesen Paragraphen des Familienrechts ausdrücklich strich, ist vielleicht dann doch kein Ausweis des Fleißes der Parlamentarier, ändert aber nichts an der unmittelbaren Wirkung des Artikel 3 GG.

Verschärfend kommt hinzu, dass Juristen nicht mit dem nackten Gesetzeswerk arbeiten, sondern immer kommentierte Gesetzestexte zur Hand haben, in denen wichtige Präzedenzurteile u.ä. vermerkt sind. DAS Standardwerk zum BGB ist der Palandt und in dessen Kommentar (11. Auflage, 1953) steht schon, dass die §§1354, 1358 wohl verfassungswidrig sind. Das müsste also unter Richtern und Anwälten weithin bekannt gewesen sein. Leider habe ich keine Onlineversion und auch keine offline – ich verlasse mich hier also auf Hörensagen, weil es so spezifisch ist. Dass das GG unmittelbar geltendes Recht ist und das BGB aussticht, das dürften Juristen also auch 1953 schon gewusst haben.

Schauen wir uns aber der Vollständigkeit halber den §1358 genauer an:

1§ 1358. (1) [1] Hat sich die Frau einem Dritten gegenüber zu einer von ihr in Person zu bewirkenden Leistung verpflichtet, so kann der Mann das Rechtsverhältniß ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, wenn er auf seinen Antrag von dem Vormundschaftsgerichte dazu ermächtigt worden ist. [2] Das Vormundschaftsgericht hat die Ermächtigung zu ertheilen, wenn sich ergiebt, daß die Thätigkeit der Frau die ehelichen Interessen beeinträchtigt.

Selbst dem Gesetzestext nach musste der Mann also erst zum Vormundschaftsgericht und das dort beantragen – ich lese das so, als ob er es also auch näher begründen hätte müssen, wenn es denn überhaupt jemand getan hat.

Es geht dann noch weiter mit Absatz 2:

(2) [1] Das Kündigungsrecht ist ausgeschlossen, wenn der Mann der Verpflichtung zugestimmt hat oder seine Zustimmung auf Antrag der Frau durch das Vormundschaftsgericht ersetzt worden ist. [2] Das Vormundschaftsgericht kann die Zustimmung ersetzen, wenn der Mann durch Krankheit oder durch Abwesenheit an der Abgabe einer Erklärung verhindert und mit dem Aufschube Gefahr verbunden ist oder wenn sich die Verweigerung der Zustimmung als Mißbrauch seines Rechtes darstellt. [3] Solange die häusliche Gemeinschaft aufgehoben ist, steht das Kündigungsrecht dem Manne nicht zu.

Das ist insofern interessant, als ja ein Arbeitgeber, der eine Frau einstellt, dies nicht gerne tut, wenn die Arbeitsstelle der Frau jederzeit aus heiterem Himmel, noch dazu ohne Kündigungsfrist, von deren Ehemann mit einem Antrag beim Gericht gekündigt werden kann. Daher gab es viele Arbeitsverträge, die gleich einen Passus enthielten, in dem der Ehemann der Berufstätigkeit seiner Frau zustimmte – diese Zustimmung war dann bindend und verschaffte den Firmen Rechtssicherheit.

Es ist natürlich möglich, dass solche Verträge aus alter Gewohnheit noch längere Zeit in Gebrauch waren, obwohl die Fachwelt wusste, dass die Notwendigkeit dazu nicht mehr bestand.

Fragen Sie ein paar Zeitzeugen, Eltern, Großeltern, Großtanten und Großonkel, die die 50er, 60er und 70er als Berufstätige kennengelernt haben, ob sie von Fällen berichten können, in denen es wirklich zur Kündigung durch den Ehemann kam. Ich habe in meiner Verwandtschaft rumgefragt und niemanden gefunden.

Vom Vorrang des Grundgesetzes habe ich dagegen im keineswegs feministisch angehauchten Sozialkundeunterricht der frühen 70er erfahren. Verwunderlich ist, wie man Frauengeschichtsforscherin werden kann, ohne dieses Allgemeinwissen.

Also habe ich auch die Webseite von Frau Rohner besucht und nun, sie hat nicht Geschichte studiert und nicht Jura, sondern bloß Germanistik, Philosophie und Romanistik und sich wohl auch mit Hochschulmarketing/politischer ManipulKommunikation befasst. Die Kunst des wissenschaftlichen Arbeitens und der seriösen Forschung lernt man da ja vielleicht nicht.

Sie ist auch nicht die einzige, die mit dieser Mär vom kündigenden Ehemann hausieren geht. Vielleicht hat sie einfach nur zu blauäugig ihren Quellen vertraut. Hinter die Beiträge der Sendung Kulturzeit, die ich ansonsten sehr schätze, muss ich jetzt auch immer ein Fragezeichen machen.

Zum Stand der Gleichberechtigung darf man wohl sagen, dass es darum ziemlich gut bestellt sein muss, wenn gleich 2 wichtige Talkingpoints in einer Sendung als potemkinsche Dörfer sich erweisen.

P.S.: Falls noch jemand einen Palandt in der 11. Auflage von 1953 bei sich zu Hause liegen hat, auf den er auch gut verzichten könnte, würde ich mich über eine Zusendung sehr freuen.

P.S.II: Im Inforadio wurde letzte Woche ein zweiter Equal-Pay-Day gefeiert, in dem man einfach vom Jahresende rückwärts rechnete, natürlich auch unbereinigt.

#IsabelRohner #Frauenwahlrecht #GenderPayGap #Kündigungsrecht #1358 #Palandt #Grundgesetz #Art3 #Gleichberechtigung #Feminismus #Gender #Frauengeschichtsforschung

2 Gedanken zu „Frauengeschichtsforschung

  1. kardamom

    Für mich ist der Stichtag der 18. Dezember 1953:

    …Bundesverfassungsgericht (…) welches daraufhin in seinem Urteil vom 18. Dezember 1953 allerdings eindeutig feststellte, dass „seit dem Ablauf der in Art. 117 gesetzten Frist … Mann und Frau auch im Bereich von Ehe und Familie gleichberechtigt (seien)“ (BVerfGE 3, 225)

    https://de.wikipedia.org/wiki/Gleichberechtigungsgesetz

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  2. Andreas

    Zum Thema Wahlrecht folgende Anmerkung, die Einführung des Wahlrecht für Männer um 1850 steht eng im Verhältnis zur Wehrpflicht, dass war der maßgebliche Grund warum das Wahlrecht auf Männer begrenzt war. So gesehen habe Frauen das Wahlrecht ohne die entsprechenden Pflichten bekommen und auch heute noch gilt die zwar ausgesetzte Wehrpflicht nur für Männer.
    z.B.: http://www.bpb.de/politik/grundfragen/deutsche-verteidigungspolitik/203136/wehrpflicht

    Der Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 im Grundgesetz geht auf Elisabeth Seibert zurück ebenfalls der Artikel 117 Abs 1, der dazu diente das herbei diskutierte „Rechtschaos“ zu vermeiden, was im übrigen wohl der Hauptpunkt gegen das Gleichstellungsprinzip war (von beiden Geschlechtern)
    Dahingehend hätten die Gesetze bis 31. März 1953 angepasst werden müssen.
    Es ist davon auszugehen, das Gesetze die Gegen das Gleichheitsprinzip verstoßen hätten nicht einklagbar waren, da der 31. März 1953 als letztmöglicher Termin genannt wurde, es also bei entsprechendem Bedarf auch davor schon eine Neureglung bedurfte.
    http://www.meinhard.privat.t-online.de/frauen/grundgesetz.html

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